Die großen Ferien gehen langsam aber sicher ihrem Ende zu und immer näher rückt für die Abc-Schützen der erste Schultag. Der aber nicht nur für kleine Mädchen und Buben, sondern auch für so manche junge Pädagogen, die ihm sicher mit einem etwas flauen Gefühl im Magen entgegensehen. Jedenfalls erging es mir so vor nun schon 52 Jahren am 7. Mai 1947. Ich wohnte damals mit meiner Mutter - beide waren wir Vertriebene aus Oberschlesien - in Vilshofen, als ich von der Regierung die Mitteilung erhielt, dass ich sofort in Saulburg meinen Dienst als Hilfslehrerin - heute heißen die jungen Kolleginnen und Kollegen viel vornehmer Referendare - aufnehmen sollte.
Dieser Order nachzukommen war gar nicht so einfach,
denn ich sollte mich zuerst noch im Bezirksschulamt in
Bogen melden und die Reise dahin ähnelte in diesem
Nachkriegsjahr immer noch einer kleinen Weltreise mit
Hindernissen: Die Eisenbahnbrücke nach Bogen
funktionierte ebenso wenig wie die Donaubrücke von
Straubing nach Saulburg. Irgendwie, teils mit der
Bahn, teils zu Fuß - in meinem Besitz befand sich zur
damaligen Zeit auch nicht der Luxus eines Fahrrades -
landete ich schließlich in Bogen. Unterwegs gewesen
war ich einen ganzen Tag lang, bis ich am späten
Nachmittag das Amtszimmer des mir sehr streng
erscheinenden Schulrates im Bogener Landratsamt
betrat. Mit sehr amtlicher Miene sagte er mir, dass
ich nun vereidigt werden müsste und hoffentlich
wüsste, was das für meine Erziehungsarbeit bedeutete.
Zu meiner Schande, wusste ich es nicht so genau und
wollte darüber Näheres wissen. Doch erschien ihm mein
Begehren als vorlaut und da ich ja auf der ganz
untersten Stufe der Schulhierarchie stand, musste ich
schweigen und sprach ihm nach, was er mir vorsagte.
Die Nacht verbrachte ich im Gasthaus der
Staudinger Lina - heute Gasthaus Eckl -, die mir Gott
sei Dank verriet, wie ich nach Saulburg weiter könnte.
Eine Fahrgelegenheit gab es schon: den mit Holzgas
betriebenen Bus des Otto Berger, der mich in der Frühe
des 7. Mai, eine Auspuffwolke hinter sich lassend, bis
nach Kirchroth beförderte. Da stand ich nun, mit
meinem Koffer in der Hand, die Berge des Vorwaldes und
die staubige Landstraße vor mir. Es war ein sehr
sonniger Tag, was meine Stimmungslage erhöhte. Das
allerdings war auch nötig, wusste ich doch nicht, was
ich an meinem ersten Schultag alles erleben würde.
Dann sah ich das Schulhaus, auf einer Anhöhe über der
Ortschaft liegend. Hören konnte ich die Schülerstimmen
auch, denn die Fenster des ebenerdigen Klassenzimmers
standen offen. Lehrer Georg Bösche, bis dahin Herr
über alle acht Klassen, hatte mich schon erwartet und
freute sich aus einem ganz besonderen Grund über mein
Erscheinen: Zugleich als Organist angestellt, sollte
er an diesem Vormittag dem Herrn Expositus bei einer
Beerdigung assistieren. Also übergab er einfach mir
die rund 50 Kinder der vierten mit achten
Jahrgangsstufen, die alle zusammen unterrichtet
wurden. Die Klassen vier und fünf üben Schreiben in
Stillarbeit, mit den oberen Klassen fahren Sie ganz
einfach im Rechnen - damals gab es nicht die
hochtrabende Bezeichnung Mathematik - fort, sagte er
und ging.
Am gleichen Vormittag lernte ich noch den Herrn
Expositus Johann Fersch kennen: Mit seiner tiefen
Bass-Stimme und seiner Größe eine imponierende
Erscheinung. Als er hörte, dass ich im Besitz der
Missio Canonica wäre und Religionsunterricht
erteilen würde, freute er sich sehr. Wohlwollend lud
er mich zum Mittagessen in seine Wohnung im Saulburger
Schloss, als Pfarrerdomizil angebaut, ein: Meine
Schwester Theres bereitet heute einen
Kartoffelschmarrn zu. Der reicht auch für Sie, sagte
er. Das stimmte, bei dem Gedanken an dieses leckere
Gericht als Einstieg in mein Lehrerdasein läuft mir
heute noch das Wasser im Mund zusammen. Als Brotzeit
für den Nachmittagsunterricht, nun mit meiner eigenen
Klasse, Jahrgang eins mit drei, bekam ich von der
Theres sogar noch Rohrnudeln, eine Kostbarkeit, die
ich , als Städterin gar nicht mehr kannte. Mit beiden,
dem Herrn Expositus und seiner Schwester verbanden
mich lange Jahre der Freundschaft, zumal ich als
eifrige Kirchenchorsängerin die Gottesdienste
mitfeierte.
Schließlich zeigte mir Herr Bösche, der mir von Anfang an und alle folgenden Jahre in Saulburg als sehr lieber, verständnisvoller Kollege zur Seite stand, meine Wohnung im Schulhaus. Das große und kleine Zimmer erschienen mir als wahrer Luxus. Die Möbel waren ein Bett mit Strohsack, aber mit einem Plümeau und Kopfkissen versehen, und dazu ein Kleiderschrank.
Dorothea Wolf